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Kurzbericht 2017




Friedrich-Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation, Moskau
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt
Konrad-Adenauer-Stiftung in der Russischen Föderation, Moskau
Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen, Akademie der Wissenschaften, Moskau

Vom 27. bis 29. April 2017 fand das 20. Schlangenbader Gespräch statt, ein deutsch-russischer Gesprächskreis zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen, der jedes Frühjahr eine große Zahl von Fachleuten aus beiden Ländern zusammenführt. In diesem Jubiläumsjahr stand er unter dem aktuellen Leitthema „Die liberale Weltordnung und ihre Herausforderer“ und damit ganz im Zeichen der bis zu den Gesprächen aufsteigenden (rechts-)populistischen Welle beiderseits des Atlantiks.

Auch in diesem Jahr war das Interesse an den Schlangenbader Gesprächen hoch, wie mehr als 60 Teilnehmer aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Journalismus dokumentierten. Sie hatten Gelegenheit, sich in insgesamt vier Themenblöcken mit der aktuellen Lage auseinanderzusetzen, wobei den Auftakt eine Generaldebatte über den aktuellen Stand der europäischen Sicherheit zwischen NATO und OSZE bildete. Bei allen fortdauernden Differenzen zu den aktuellen Konflikten, einig waren sich alle Diskussionspartner in ihrer Enttäuschung über den gegenwärtigen Stand der Beziehungen und in der Bereitschaft, gemeinsame Ziele und Interessen auszuloten.

Nach dem Brexit, der Wahl Trumps in den USA und der drohenden Wahl Le Pens in Frankreich standen dieses Jahr Herausforderungen im Fokus, die primär auf westlicher Seite zu verorten sind – auch wenn Russland nur wenig Hehl aus seinen (rechtspopulistischen) Sympathien macht und auch einige Anstrengungen unternimmt, diesen Geltung zu verschaffen. Das taktische Interesse ist angesichts der damit einhergehenden Schwächung des politischen Zusammenhalts im Westen offenkundig. Allerdings könnte die populistische Welle ihren Scheitel bereits überschritten haben, und dass sie wie in den 1930er Jahren das Ende der Demokratie einläute, wurde als ebenso unwahrscheinlich erachtet wie ein Scheitern der EU. Gleichwohl wird der Populismus nicht von der politischen Bühne verschwinden. Im Unterschied zu den ausschließlich kritischen und auf die politischen Regime konzentrierten Betrachtungen der deutschen Teilnehmer begriffen die russischen den Populismus überwiegend als Ausdruck der Krise, in der sich die liberale Weltordnung befinde – und bewerteten dies insoweit als positiv, als sich damit auch die westliche Hegemonie und westlicher Unilateralismus dem Ende zuneigten.

Eng mit dieser Thematik verknüpft ist ein zweiter Themenblock, der „25 Jahre internationales Konfliktmanagement und Interventionen“ bilanzierte. Unter Stichworten wie Kosovo, Irak, Afgha-nistan und Libyen gehört die westliche Interventionsbereitschaft wie -praxis (etwa im Zeichen der „Responsibility to Protect“) seit Jahren zum Standardrepertoire russischer Vorwürfe an die Adresse Washingtons, Brüssels oder Berlins. Kritisiert werden die Absichten (Regime Change) ebenso wie die Folgen (Destabilisierung), während von westlicher Seite eine moralische wie politische Pflicht zur Intervention ins Feld geführt wird. Die unterschiedlichen Ansätze ließen sich auch in diesem Jahr nicht auflösen. Dabei fiel auf, dass weniger das konkret gefasste Thema der Interventionsbe-dingungen und des praktischen Managements der Konflikte wie der Friedenskonsolidierung auf Interesse stieß als die Frage, was das internationale Konfliktmanagement über den Stand der Be-ziehungen zwischen Ost und West sowie das Kräfteverhältnis zwischen den Großmächten aussagt.

Den Abschluss des diesjährigen Schlangenbader Gesprächs bildete ein Panel, das sich den Verbin-dungswegen zwischen China und Europa (Stichwort: Seidenstraße oder auch Belt-and-Road Initia-tive der chinesischen Führung) sowie den Perspektiven der Zusammenarbeit im eurasischen Raum annahm. Nicht zuletzt von russischer Seite gilt dies als vielversprechende Alternative zur stagnierenden Kooperation mit dem Westen, doch verfolgt Moskau damit auch weitergehende strategische Ziele. So hat es den Anschein, dass das ursprüngliche Projekt eines „Greater Europe“ durch das Konzept eines „Greater Eurasia“ abgelöst werden soll, das aus Moskauer Perspektive den großen Vorteil hat, Russland in der Mitte und nicht am Rand zu platzieren. Allerdings sind die Konturen des Konzepts noch unscharf und fehlen die Umsetzungsschritte. Auch dürfte seine Reali-sierung auf manche Hindernisse stoßen, denn auch im Osten verfolgen die maßgeblichen Akteure durchaus unterschiedliche Ziele – von den Europäern als möglichem Anhängsel im Westen ganz zu schweigen. So stellt Eurasien für die kasachische Regierung vor allem ein ökonomisches Projekt dar, während Russland vor allem die politische Dimension betont. China wiederum begreift sein BRI-Projekt als „Geopolitik für den Frieden“, doch wurden im Verlauf des Gesprächs erhebliche Zweifel an der von chinesischer Seite postulierten „Win-Win“-Konstellation geäußert.

Auch wenn bei den diesjährigen Schlangenbader Gesprächen wiederholt von einer „post-westlichen“ oder auch „post-europäischen“ Welt gesprochen wurde, so blieb unklar, was jenseits der beobachtbaren Machtverschiebungen genau damit eigentlich gemeint ist. Eine tragfähige Alternative zu den Beziehungen zwischen Russland und Europa, bzw. mit Deutschland, ließ sich nicht identifizieren. Diese neue Welt(ordnung) bleibt einstweilen ein Wunschbild, ausschließlich getragen von der Unzufriedenheit mit dem Status quo. Es wird die Aufgabe künftiger Gespräche sein, hier konkrete Vorstellungen zu entwickeln und mögliche gemeinsame Wege zu eruieren. Die nach dem Tiefpunkt 2014/15 mit starken Anklängen an den Kalten Krieg erneut deutlich verbesserte Gesprächsatmosphäre bietet dafür gute Voraussetzungen.

Der Rückblick auf die vergangenen 20 Jahre Schlangenbader Gespräche offenbarte allerdings auch die Grenzen des deutsch-russischen Dialogs mit seinen kontinuierlichen Schwingungen zwischen (immer kürzeren) Phasen der Euphorie und (zusehends ausgedehnten) Phasen der Frustration. Zu hohe gegenseitige Erwartungen, Widersprüchlichkeiten in den eigenen Positionen und sehr unterschiedliche Vorstellungen über Prinzipien der internationalen Ordnung haben den deutsch-russischen Dialog gleichsam strukturell belastet.


Ein Tagungsbericht ist in der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik (ZfAS) erschienen:

Rogova, Vera/Kalinskij, Nora T. (2017): Business that needs to be done – Ein Bericht über das 20. deutsch-russische Schlangenbader Gespräch vom 27. bis 29. April 2017, in: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, 10 (3), S. 403–408.

Verfügbar auch online unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s12399-017-0649-6.