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Kurzbericht 2015




Friedrich-Ebert-Stiftung in der Russischen Föderation, Moskau
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt
Konrad-Adenauer-Stiftung in der Russischen Föderation, Moskau
Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen, Akademie der Wissenschaften, Moskau

Vom 28. bis 30. April 2015 fand das 18. Schlangenbader Gespräch statt, ein deutsch-russischer Gesprächskreis zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen, der jedes Frühjahr eine große Zahl von Fachleuten aus beiden Ländern zusammenführt. In diesem Jahr stand er unter dem aktuellen Leitthema „Das Ende des Europäischen Hauses: was folgt?“ und damit erneut ganz im Zeichen der Ukraine-Krise.

Auch in diesem Jahr war das Interesse an den Schlangenbader Gesprächen hoch, wie mehr als 80 Teilnehmer aus Politik, Militär, Wissenschaft, Wirtschaft und Journalismus dokumentierten (zu Programm und Teilnehmerliste sei auf die Website „www.schlangenbader-gespraeche.de“ verwiesen). Sie hatten Gelegenheit, sich in insgesamt vier Themenblöcken mit der aktuellen Lage auseinanderzusetzen, wobei den Auftakt eine Generaldebatte über die Entwicklung und den Stand der deutsch-russischen Beziehungen bildete. Im Anschluss daran widmete sich ein Panel konkreten Maßnahmen zur politischen und insbesondere auch zur ökonomischen Stabilisierung der Ukraine, da ohne ein erfolgreiches Krisenmanagement dort weitergehende Überlegungen abstrakt bleiben müssen. Um den Blick darüber hinaus zu richten, befasste sich ferner ein Panel mit der europäischen Sicherheitsarchitektur und der Rolle, die die OSZE 40 Jahre nach Verabschiedung der KSZE-Schlussakte darin spielen kann, sowie mit Blick auf die internationale Ordnung mit Überlegungen zu einem „Mächtekonzert für das 21. Jahrhundert“, die von einer internationalen Wissenschaftlergruppe unter Leitung der HSFK erarbeitet worden sind (abrufbar unter: http://hsfk.de/fileadmin/Downloads/PolicyPaper_ATwentyFirstCenturyConcertofPowers.pdf).

War im vergangenen Jahr auch in der Gesprächsatmosphäre deutlich geworden, dass die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen im Zeichen der Ukraine-Krise einen – sehr gefährlichen – Tiefpunkt mit starken Anklängen an den Kalten Krieg erreicht hatten, so gestalteten sich die Diskussionen in diesem Jahr vor allem atmosphärisch deutlich konstruktiver. Das ist ohne Zweifel erfreulich, zumal beidseits populäre Stichworte wie „hybride Kriegsführung“ oder „Informationskrieg“ eher das Gegenteil erwarten ließen. Allerdings konnte die atmosphärische Entspannung nicht darüber hinweg täuschen, dass in der Sache nach wie vor ein tiefer Graben zwischen Russland und dem Westen besteht und dass von einem gemeinsamen europäischen Raum geteilter Werte und Interessen nicht länger gesprochen werden kann. Zwar wurde insbesondere von offizieller russischer Seite an der Zielvorstellung des gemeinsamen Europäischen Hauses festgehalten und insofern das Leitmotiv der diesjährigen Gespräche in Frage gestellt, wie dies jedoch restauriert und ausgestaltet werden kann, blieb vage.

Schon die Frage nach dem „Fundament“ des Europäischen Hauses fand unterschiedliche Antworten. So wurde der Forderung nach einer Bekräftigung der grundlegenden Prinzipien – von der territorialen Integrität seiner Mitglieder über den Gewaltverzicht und die friedliche Streitbeilegung bis zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten – entgegen gehalten, dass diese Prinzipien unterschiedlich interpretiert würden (und daher neu zu verhandeln seien), zumindest aber im Zusammenhang und nicht nach Gutdünken isoliert zu betrachten seien. Dabei wurde insbesondere von offizieller russischer Seite geltend gemacht, Russland vertrete „traditionelle Werte“ und stehe den „neoliberalen Werten“ des Westens kritisch gegenüber, was – ebenfalls von russischer Seite - die kritische Frage provozierte, ob die Unterdrückung von Nichtregierungsorganisationen, Wahlfälschungen und die Auflösung friedlicher Demonstrationen „traditionelle Werte“ darstellten. Auch wurde eingewandt, dass angesichts vielfältiger Regelverletzungen aller Seiten eine Berufung auf diese Prinzipien wenig mehr als „Heuchelei“ darstelle. Auch äußerten einige russischen Teilnehmer die Vermutung, dass sich hinter den schönen Worten über Gleichberechtigung und gemeinsamer Verantwortung lediglich nüchterne machtpolitische Interessen namentlich der einflussreichen EU-Mitglieder verbergen.

Ungeachtet dieser Differenzen und ungeachtet auch der grundlegenden Meinungsunterschiede zur Ukraine mahnten die russischen Teilnehmer ganz überwiegend an, nicht alle Bereiche der Zusammenarbeit in Frage zu stellen und zumindest im humanitären und wirtschaftlichen Bereich möglichst bald zur Normalität zurückzukehren – auch verbunden mit einer Aufhebung der Sanktionen. Die deutsche Seite bezog hier allerdings klar Position und machte deutlich, dass jegliche Wiederannäherung die vollständige und buchstabengetreue Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens von Minsk II voraussetze.

Allerdings bestand Konsens, dass sicherheitspolitisch in Europa Handlungsbedarf besteht, um sowohl das Risiko unbeabsichtigter militärischer Zusammenstöße zu begrenzen als auch einen neuen Rüstungswettlauf zu verhindern. Hier kann nach übereinstimmender Auffassung die OSZE eine wichtige Rolle spielen, wobei von russischer Seite erhebliche Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft im Jahre 2016 gerichtet wurden. Die OSZE ist mit ihrer Beobachtungs- und Vermittlungsmission gleichsam der einzige Profiteur der Ukraine-Krise, in der alle anderen Organisationen keine erkennbare Rolle zu spielen vermochten. Sie bedarf jedoch – so das Petitum von russischer Seite – einer „Anpassung“ ihrer Aufgaben an die veränderten Bedingungen, um ihren (unerwarteten) Bedeutungsgewinn zu konsolidieren. Dieser Hinweis bezog sich vornehmlich auf die unterstellte Instrumentalisierung der OSZE für westliche Interessen im Bereich des dritten Korbes, der sich mit der humanitären Dimension und namentlich freien Wahlen und freien Medien befasst.

Deutlich wurde damit aber auch, dass aktuell Spekulationen über neue Organisationen oder Regelungsmechanismen auf dem europäisch-eurasischen Raum nicht auf der Tagesordnung stehen. Allenfalls eine „europäisch-eurasische“ Sicherheitsstruktur unter Einbeziehung Chinas wurde ins Gespräch gebracht, um der internationalen Machtverschiebung und dem wachsenden Gewicht Chinas Rechnung zu tragen. Ein solcher Neustart war noch mit dem Europäischen Sicherheitsvertrag anvisiert worden, den der russische Präsident Medwedjew 2009 vorgeschlagen hatte, ohne dabei auf die OSZE Bezug zu nehmen. Vielmehr werde man mit den bereits vorhandenen Institutionen wie der OSZE oder dem NATO-Russland-Rat Vorlieb nehmen müssen. Daher sei es umso wichtiger, so die übereinstimmende Feststellung, diese Foren so handlungsfähig wie möglich zu machen (und auch den diesmal von westlicher Seite suspendierten NATO-Russland-Rat zu reaktivieren).