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Kurzbericht 2014




Vom 28. bis 30. April 2014 fand das 17. Schlangenbader Gespräch statt, ein deutsch-russischer Gesprächskreis zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen, der jedes Frühjahr etwa sechzig Fachleute aus beiden Ländern zusammenführt. In diesem Jahr stand er unter dem aktuellen Leitthema „Russland, Europa und der Westen: das neue Schisma“ und damit ganz im Zeichen der Ukraine-Krise.

Schon im vergangenen Jahr hatten wir auf den Schlangenbader Gesprächen deutlich, um nicht zu sagen: dramatisch abgekühlte Beziehungen auch zwischen Deutschland und Russland diagnostiziert. Dies hat sich im Zeichen der Krise in und um die Ukraine während der letzten Monate in einer Weise zugespitzt, dass nunmehr ernsthaft von einem neuen Kalten Krieg gesprochen werden kann – auch wenn diese Begrifflichkeit in Schlangenbad auf beiden Seiten umstritten blieb. So wurde kritisch eingewandt, dass zum Kalten Krieg die Bipolarität ebenso fehle wie die permanente Drohung mit nuklearer Vernichtung oder die ideologische Konfrontation. Einigkeit bestand indes, dass die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen einen – sehr gefährlichen – Tiefpunkt erreicht haben und dass auf absehbare Zeit Vorstellungen eines gemeinsamen europäischen Raumes geteilter Werte und Interessen obsolet ist.

Die aktuelle Lage hat eine erhebliche Beunruhigung ausgelöst und mit mehr als 80 Teilnehmern in diesem Jahr so viele Interessenten aus Politik, Militär, Wissenschaft, Wirtschaft und Journalismus nach Schlangenbad geführt wie noch nie (zu Programm und Teilnehmerliste sei auf die Website „www.schlangenbader-gespraeche.de“ verwiesen). Sie hatten Gelegenheit, sich in insgesamt drei Themenblöcken mit der Ukraine-Krise auseinanderzusetzen, mit der Lage auf dem europäischen Kontinent, wie sie im Zuge der Krise entstanden ist, sowie mit dem Krisenmanagement und möglichen Elementen einer Krisenlösung. Darüber hinaus sind wir aus Anlass des 100. Jahrestags der Frage nachgegangen, was uns gerade auch unter den aktuellen Prämissen aus deutscher, polnischer und russischer Perspektive der 1. Weltkrieg zu sagen hat. Und wir haben uns mit einem Thema auseinandergesetzt, das eigentlich auf Kooperation verweist, aktuell aber in jeder Hinsicht von der Ukraine-Krise überschattet wird: die neue russische Entwicklungspolitik.

So konträr die Positionen auf der politischen Bühne, so konträr fielen die Meinungen in Schlangenbad aus, quer durch alle Teilnehmergruppen. Unterschiede zwischen den deutschen und den russischen Teilnehmern waren entlang der Nationalität kaum festzustellen. Es fiel allenfalls auf, dass die russischen Diskutanten stärker als in der Vergangenheit Bezug auf die offizielle Sprachregelung des Kreml nahmen und generell defensiver – oder auch reaktiver – argumentierten, während auf deutscher Seite das Bemühen überwog, Wege aus der Krise aufzuzeigen. Auch war die Bereitschaft ausgeprägter, selbstkritisch den eigenen Beitrag zur Konflikteskalation zu reflektieren, etwa mit Blick auf die ziemlich kategorische Feststellung der Europäischen Union, dass die Ukraine sich zwischen der Zollunion und der vertieften Freihandelszone, mit anderen Worten zwischen Moskau und Brüssel, entscheiden müsse. Das war weder für die Wirtschaft der Ukraine zuträglich, noch war es geeignet, den Zusammenhalt im Land zu stärken.

Allerdings trennten bis vor kurzem weder die Sprache noch ethnokulturelle Unterschiede die ukrainische Bevölkerung. Vielmehr handele es sich, worauf insbesondere von ukrainischer Seite hingewiesen wurde, um verschiedene soziokulturelle Lebensweisen und Mentalitäten, die allerdings regional konzentriert sind: die sowjetische Mentalität in den östlichen Industrieregionen, die ländlich-agrarische in der westlichen Ukraine und die europäisch-utopische der vornehmlich jungen urbanen Bevölkerungsgruppen. Sie würden heute unter starkem Einfluss aus östlicher Richtung „ethnisiert“ und damit in einer Weise existenziell aufgeladen, dass die akute Gefahr eines Bürgerkriegs bestehe.

Um diese Gefahr abzuwenden, sind in Schlangenbad verschiedene Verständigungsansätze diskutiert worden. Dabei fand die Forderung nach einem breiten innerukrainischen Dialog die größte Zustimmung. Dieser könnte, so ein Vorschlag, im Format eines „Runden Tischs“ nach dem Beispiel von Polen 1989 stattfinden, was jedoch der schwierigen Klärung bedarf, wer insbesondere aufseiten der Opposition daran teilnehmen könne.

Sehr kontrovers wurde dagegen über die anstehenden Präsidentschaftswahlen am 25. Mai 2014 diskutiert, und auch die immer wieder geforderte Dezentralisierung des Landes fand keineswegs ungeteilte Zustimmung. Während sie für die Kritiker den Weg zum Zerfall des Landes ebne, sahen Befürworter keine andere Möglichkeit, einen nationalen Konsens zu begründen.

Zumindest abstrakt bestand Einigkeit darüber, dass die Überwindung der tiefen Krise in der Ukraine eigentlich eine Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen erzwinge. Dafür jedoch, auch insoweit bestand Konsens, seien die Voraussetzungen denkbar schlecht: Das Vertrauen zwischen beiden Seiten sei zerstört, Dialogforen seien suspendiert, und die europäische Ordnung sei massiv beschädigt. Russland habe, so eine Teilnehmerin, die Krim gewonnen und für viele Jahre die EU und die Ukraine verloren. Es bedarf daher jetzt konstruktiver Überlegungen, woran beim Aufbau neuer Verständigungs- und kooperationsformate angeknüpft werden könne – etwa mit Rückbesinnung auf die Prinzipien und Mechanismen der KSZE-Schlussakte 1975 von Helsinki.

Die damalige Situation war von einem eigenartigen Widerspruch gekennzeichnet: Während mit der Schlussakte von Helsinki der Entspannungsprozess in Europa seinen Höhepunkt erreichte, fand in Afrika mit den Bürgerkriegen in Angola und Mosambik zwischen der Sowjetunion auf der einen sowie dem Westen und China auf der anderen Seite ein heftiges Ringen um Einflusszonen statt. Es wäre sehr bedauerlich, wenn der russische Neustart in der Entwicklungspolitik, vor wenigen Jahren eingeleitet, ebenfalls in eine Nullsummenkonkurrenz münden würde. Anzeichen dafür gibt es, denn auch hier traten in der Schlangenbader Diskussion signifikante Unterschiede zutage, die es in dieser Deutlichkeit vor kurzem noch nicht gegeben hatte. Während von russischer Seite hervorgehoben wurde, dass die Entwicklungspolitik der Durchsetzung nationaler Interessen dienen müsse, betonten die deutschen Diskutanten, es könne bei der Entwicklungszusammenarbeit nicht darum gehen, „Fähnchen aufzupflanzen“, sondern durch Kooperation Wirkung zu erzielen und globale Strukturveränderungen herbeizuführen.

Gleichwohl gab es auch hier eine konstruktive Anregung, denn angesichts der beidseitigen Dialogbereitschaft wurde der Vorschlag formuliert, im Rahmen der Schlangenbader Gespräche eine Arbeitsgruppe zu bilden, um zu verdeutlichen, dass auch während der Krise Dialogbemühungen stattfinden: „Es wird ein Leben nach der Krise geben. Und was hindert uns eigentlich daran, während der Krise über Fragen zu diskutieren, die uns alle angehen?“ Diesem Vorschlag wurde zumindest nicht widersprochen.